Kenntnisnahme verboten!

E-Mail-Disclaimer sind eine relativ junge Unsitte, die Sicherheit vorgaukeln und äußerst kontraproduktive Signale aussenden, wenn sie denn einmal jemand liest. Gerade heute kam ein besonders hübsches Beispiel herein, am Ende einer Einladung zu einer Kulturveranstaltung:

„Diese e-mail kann Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder sonstige vertrauliche Informationen enthalten. Sollten Sie diese e-mail irrtümlich erhalten haben, ist Ihnen eine Kenntnisnahme des Inhalts, eine Vervielfältigung oder Weitergabe ausdrücklich untersagt. Bitte benachrichtigen Sie uns und vernichten Sie die empfangene e-mail. Vielen Dank.“

Abgesehen davon, dass man „E-Mail“ in einem deutschen Text doch groß schreiben sollte, offenbart die Position am Ende der Mail eine seltsame Vorstellung vom Leseverhalten der Empfänger’innen: Klar, als beipackzettelverwöhnter Angst-Deutscher schaue ich immer als erstes nach der korrekten Absenderkennzeichnung in der Signatur, prüfe, ob die Zustellung an meine Adresse rechtmäßig erfolgt ist und studiere dann evtl. vorhandene AGB zur Rezeption des Inhalts … Echt jetzt?

Spaß beiseite: Nachdem ich die Mail gelesen habe, ist es mir schlicht nicht mehr möglich, meine Kenntnisnahme rückgängig zu machen. Selbst wenn mich die Botschaft interessiert haben sollte, könnte ich ihre Kenntnis beim besten Willen nicht mehr tilgen. Da ich Selbstmord aus belanglosen Gründen ablehne, bleibt mir nur die Selbstanzeige – nur: bei wem eigentlich?

Ich habe also unrechtmäßig Kenntnis genommen. Was sind die Folgen? Ich bin gewissermaßen Mittäter einer Datenschutzverletzung geworden, bei der jemand seine eigenen Schutzrechte missachtet hat. Gut, das passiert im Web 2.0 täglich und millionenfach … Gehe ich also zur Polizei, zum Ordnungsamt oder zur IHK? Biete ich dem Täter-Opfer die Zahlung einer Vertragsstrafe an? Schreibe ich ein Blog-Posting und bekenne mich zu meiner Untat?

Es ist wohl deutlich, wie sinnfrei ein solcher Disclaimer daherkommt – und dass er niemals die sorgfältige Pflege von Adressbüchern und Verteilern ersetzen kann, noch weniger die Erstellung ordentlicher Absenderkennzeichnungen und die Nutzung sicherer Übertragungswege, wenn nötig.

Darüber hinaus halte ich solche „Angsklauseln“, wie sie das lesenswerte Blog von Oliver Causse treffend nennt, durchaus auch für schädlich. Einmal können juristische Stolperstricke damit verbunden sein, wichtiger ist mir an dieser Stelle aber der Eindruck, den ein solcher Stil bei vielen Empfänger’innen macht. Es wirkt nicht besonders einladend, wenn sich der Absender im Nachgang einer Mail wie eine Mischung aus Erich Mielke und James Bond geriert – auf einmal ist alles staatstragend sensibel und möglicherweise Top Secret. Noch schlimmer wird es, wenn ich die Mail gar nicht bekommen wollte (wie im zugrundeliegenden Fall übrigens): Wenn mir Spammer’innen nachträglich verbieten, ihre Mails überhaupt zu lesen, komme ich mir doch auf den Arm genommen vor. Gelöscht hätte ich sie sowieso, dazu muss ich nicht aufgefordert werden.

Immerhin scheint den Absender eine Ahnung von der morschen Stichhaltigkeit seines Tuns beschlichen zu haben, denn die besagte Mail enthält noch ein juristisches Schmankerl:

„Der Inhalt der E-Mail ist nur rechtsverbindlich, wenn die Unterschrift des [Geschäftsführers] (in blau) darunter steht.“

Über die Rechtsverbindlichkeit von E-Mails gibt es ja Literatur ohne Ende. Aber dieser Versuch, alle Probleme mit einer eingescannten Unterschrift zu erledigen, ist doch elegant. Ich schwöre, ich habe noch NIE eine handschriftlich unterzeichnete E-Mail bekommen – nicht mal in blau …

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